Christoph Heimbucher, Lehramt für Gymnasium und Gesamtschule, Seiteneinsteiger in Nordrhein-Westfalen (Deutschland)
„Wann, wenn nicht jetzt?” fragte ich mich mit Anfang 40 und schaute dabei auf eine gut vierzehnjährige Karriere in einem großen deutschen Verlagshaus zurück – auf gute und schlechte Tage, gelungene und missglückte Projekte, lange Sitzungen, tolle Arbeit im Team, Kreativität im Wechsel mit zeitweiliger Einfallslosigkeit – und viele Stunden allein am Schreibtisch. So oder so ähnlich wäre es wahrscheinlich auch die nächsten 25 Jahre weitergegangen, doch bei mir wuchs der Wunsch nach Veränderung. Als mir dann Freunde von der Möglichkeit des Seiteneinstiegs in den Schuldienst insbesondere für Musiker erzählten, war er da, der Gedanke: „Das ist es! Wann, wenn nicht jetzt!”
Also habe ich mich in einigen Bundesländern beworben, doch die Nordrhein-Westfalen waren die schnellsten: eine Kennenlern-Runde am König-Wilhelm-Gymnasium in Höxter, ein offizielles Vorstellungsgespräch und dann der Anruf noch am gleichen Abend: „Wir haben uns für Sie entschieden.” Da wurde es dann richtig ernst. Jetzt sollte also ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Aber wie existenziell diese Veränderung wirklich werden sollte, war mir zu der Zeit noch nicht klar.
Nach einigen Monaten der freudigen Erwartung, einer ersten Lehrerkonferenz, zweier kurzer Hospitationstage und einem einwöchigen Crashkurs am Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung in Detmold war der große Tag dann plötzlich da: meine erste Stunde als Gymnasiallehrer für die Fächer Deutsch und Musik und gleich vor einer pubertierenden Klasse der Mittelstufe. Meine eigenen Schulerfahrungen lagen ja nun fast ein Vierteljahrhundert zurück, und so hatte ich die Kolleg/innen etwas rat- und hilflos gefragt, wie ich meine neue Lehrerkarriere starten solle – die Antwort: „Keine Panik und einfach rein…“ Das versuchte ich, doch als ich schon die Tür zum Musiksaal nicht aufbekam, weil das Schloss hakte, war es mit der aufgesetzten Gelassenheit schnell vorbei. Klar, dass die Schüler/innen meine Unsicherheit bemerkten, und klar, dass einige versuchten, dies auszunutzen, wo sie nur konnten. Das war also der Sprung ins (eis)kalte Wasser.
Und aus heutiger Sicht erscheint es mir geradezu unumgänglich gewesen zu sein, dass ich mich dabei verkühlte, so wie auch einige meiner Kolleginnen und Kollegen aus der Detmolder Seiteneinsteiger-Truppe: 18 Stunden eigenverantwortlicher Unterricht über Inhalte, die es zu erarbeiten und aufzubereiten galt, 160 Schülerpersönlichkeiten, auf die ich mich einzustellen versuchte, die ersten Unterrichtsbesuche der Fachleiter, musikalische Ensembleproben und Konzerte, neue Kolleginnen und Kollegen, das samstägliche Pädagogik-Seminar in Bielefeld – und dazu eine persönliche Zusatzbelastung durch einen Arbeitsweg von täglich etwa 160 km – all dies summierte sich zu einer Belastung, die anfänglich schwer auszuhalten war. Dazu kam eine Situation, mit der man erst einmal umzugehen lernen muss: Denn jetzt war ich nicht mehr der versierte Experte, den die anderen wie früher um Rat fragten, jetzt war ich wieder der Schüler, der Lernende, der von anderen geprüft, kritisiert und beurteilt (und natürlich auch gefördert) wurde.
Da war der Seminar-Mittwoch in Detmold mit Haupt- und Fachseminar immer ein kleiner Rettungsanker. Hier traf man sich mit den anderen Seiteneinsteigern und besprach die Probleme, die in der letzten Woche akut geworden waren. Das half sehr. Auch die Beratung durch die Fach- und Hauptseminarleiter, die oft und ganz selbstverständlich über das rein Fachliche hinausging, war eine große Hilfe, ohne die diese intensive Zeit der berufsbegleitenden Ausbildung vielleicht nicht zu schaffen gewesen wäre. Hierbei lernte ich einiges zu relativieren, die Ansprüche an mich selbst und an meinen Unterricht nicht zu hoch zu schrauben und mich damit unter zusätzlichen Druck zu setzen.
Ein Satz meiner Hauptseminarleiterin ist mir in diesem Zusammenhang besonders in Erinnerung geblieben. Als ich wahrscheinlich wieder einmal etwas hoffnungslos wirkte, sagte sie: „Alles ist veränderbar.” Und so hat sich in kleinen Schritten manch schwieriges Lehrer-Schüler-Verhältnis zum Guten verändert, manch fachliches, didaktisches und pädagogisches Problem gelöst und sich mancher Selbstzweifel zu einem positiven Selbstbewusstsein gewendet. Unterstützung dabei bekam ich auch durch meine Mentoren, durch die Kollegen und die Schulleitung, die mir immer mit Rat und Tat zur Seite standen. Hier hatte ich wirklich Glück.
Heute – nach bestandenem zweiten Staatsexamen und jetzt bereits einiger Zeit als „vollwertiger” Lehrer – kann ich voller Überzeugung sagen, dass sich die ganze Mühe gelohnt hat. Und so stehe ich immer mal wieder vor einer Klasse oder vor einem Ensemble und erlebe kleine Momente, in denen ich denke: Es war absolut die richtige Entscheidung! Gut, dass ich durchgehalten habe.
* Studienseminare heißen in NRW seit 2011 Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL).